Privatvergnügen Prävention.
Hören Sie das Rauschen? Anno 2023. Unser Sozialsystem macht sich bereit, uns um die Ohren zu fliegen. Aufgebaut von Eltern und Grosseltern zum Schutz der Kranken, Kriegsversehrten, Benachteiligten und derer, die erst dank des aufstrebenden Kapitalismus in eine persönliche Schieflage geraten werden.
Die Idee des sozialen Netzes gibt es bereits in früheren Hochkulturen, wenn auch soweit bekannt nicht in der ausgeprägten Form wie wir es kennen - inwieweit die Existenz dieser menschlichen Einrichtung zum Untergang der Kulturen beigetragen hat, bleibt zu erforschen.
Doch der Reihe nach:
Die Reife einer Kultur zeigt sich darin, wie sie mit ihren vulnerabelsten Mitgliedern umgeht. Und verletzlich meint nicht schwach: Auch der Stärkste kann noch heute bevor die Sonne untergeht durch einen Unfall zum Pflegefall werden; eine Frau, schwanger oder junge Mutter ist per definitionem verletzlich und im Alter werden wir es alle - schwächer, angreifbar, schutzlos.
Mitmenschen zu schützen, wenn Sie es brauchen ist ein Gebot der Moral und Menschlichkeit.
Was wir im Ausbau des Sozialstaates übersehen haben - oder übersehen wollten angetrunken von der Hybris des Wirtschaftswachstums - ein menschlicher Organismus braucht Widrigkeiten, um zu reifen, zu wachsen, widerstandsfähig zu werden und zu bleiben. Ähnlich einem Baum, der verkümmert und abstirbt ohne Sturm und wechselnde Wetter. So beobachtet zur Verwunderung selbst planender Wissenschaftler beim sogenannten Mars-Experiment: Bäume in künstlicher Umgebung, den aversiven Kräften der Natur beraubt gingen ein.
Widerstände definieren wir als Umstände, die Lernen und Wachsen fordern, um bewältigt werden zu können.
In einem hyperprotektiven System geht die Gelegenheit zu Entwicklung geht leicht verloren.
Zu beobachten ist dieses Phänomen in den letzten Jahren auch in Familien, wenn Kindern die Möglichkeit genommen wird, aus Konsequenzen zu lernen.
Da werden schon mal nachts wenn das Kind schläft, Hausaufgaben korrigiert, um die schlechte Note zu ersparen. Um nur ein Beispiel zu nennen.
Die Aussicht auf die Folgen unseres Handelns und nicht-Handelns motiviert uns. Nichts anderes. Bestellst Du Dein Feld nicht, wirst Du nichts ernten. Ergo: Bestelle Dein Feld.
Fällt dieser Antrieb weg kann es schwer werden, sich aufzuraffen. Was springt für mich dabei raus, wenn ich mich morgens um 6 aus dem Bett quäle, um zu sporteln? Der Kollege bleibt liegen...
Ein System beraubt der Chance zu lernen degeneriert.
Wir haben die Rechnung ohne den Wirt gemacht, ohne das neurologische Netz, welches unseren Körper durchzieht wie Wasserstrassen die Kontinente. So erleben wir heute eine Gesellschaft, in der immer mehr Menschen unglücklich sind, deprimiert, erschöpft.
Wir sind: Overstressed and underchallenged.
Die Kosten persönlicher Gesundheits Prävention werden privatisiert, die Gewinne vergesellschaftet. Das kann nicht funktionieren.
Und, ganz im Ernst, wer will da noch mitmachen?
Treppe oder Fahrstuhl, Chips oder Apfel, auf Dauer sind es die kleinen Dinge, die den großen Unterschied machen, Gewohnheiten, die über die Jahre entscheiden, wie wir uns fühlen, wie gesund wir sind, körperlich und mental.
Es fängt an bei den kleinen Unbequemlichkeiten, die uns die großen Unbequemlichkeiten ersparen können.
Eine Rückkehr zum Primat der Selbstverantwortlichkeit erscheint alternativlos. Mit optimistischer Perspektive haben wir noch Zeit, diesen Weg sozialverantwortlich gestalten, ein niederigschwelliger Zugang zu Aufklärung und Wissen gehört dazu.
Schwieriger könnte der Paradigmenwechsel werden für die sekundären Nutznießer des aktuellen Systems: allen voran Pharmakonzerne, aber auch Einrichtungen und Unternehmen, die von der Degeneration der Gesellschaft profitieren.
Produkte und Dienstleistungen für Bedürfnisse resultierend aus körperlichem und mentalem Unwohlsein sind ein Riesen Markt.
Prävention jedoch ist wenig lukrativ, so wenig, dass Aufklärungskampagnen behindert, bekämpft oder bereits im Keim erstickt werden, was ich als Vorsitzende einer NGO, die sich einsetzt für mentale Gesundheitsvorsorge aus erster Reihe bestätigen kann.
Vorsorge ist möglich, sowohl im körperlichen als auch mentalen Feld, wissenschaftlich fundiert, evidenzbasiert und ressourcenschonend. Es bleibt zu diskutieren, Welche Kräfte (oder Mächte?) das unattraktive Image von Prävention generieren und stabilisieren, sodass die meisten Menschen sich schwer tun mit der Vorsorge für Ausnahmezeiten und -ereignisse.
In der Geschichte der Menschheit waren es stets die smarten, die cleveren, die erfolgreichen, die sich durch vorausschauenden Weitblick auszeichneten, in dem sie kontraintuitiv handelten und sich hinwegsetzten über den Impuls negative Signale zu ignorieren.
Preparedness ist ein Kennzeichen intelligenter Systeme.
Eine Garantie für Friede Freude Eierkuchen gibt es nicht.
Der Staat wird s schon richten? Et hätt noch immer jot jegange?
Prävention ist ein Zeichen von Weitsicht, gesundem Risikomanagement und Verantwortung sich selbst und den Nächsten gegenüber.
Man könnte sagen: Ein Zeichen echter Intelligenz.
Die Alternative zur Alternativlosigkeit könnte hart werden als darwinistischer Lösungsweg, den wir vermeiden wollten mit dem Aufbau des Sozialsystems.
History repeating.
Corinna Cremer, Dozentin und Vordenkerin für Krisengesundheit.
"Krisen sind besser als ihr Ruf und Vorbereitung lohnt sich. Weil wir Ausnahmesituationen selten verhindern können, anders als ihre Folgen." Einige meiner Erlebnisse und Erfahrungen aus 30 Jahren in der Begleitung von Menschen und Unternehmen in Herausforderungen teile ich in der Kolumne gerührt & geschüttelt. www.corinnacremer.com
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